Der immer gleiche Kaffee


In Paulo Coelho „Der Zahir“ geht es um eine Frau, die abhaut, weil sie das immer Gleiche nicht mehr ertragen kann. Weil sie nicht mehr das Gefühl hat, lebendig zu sein. Am Leben.
Den Coelho lese ich auf der Zugfahrt nach München.  Danach nehme ich die gleiche S-Bahn vom Hauptbahnhof zum Marienplatz wie immer, trinke am Marienplatz den gleichen Espresso wie immer – weil er so gut schmeckt, weil es das Café seit 1865 gibt, was mir sagt, Qualität setzt sich halt durch und noch dazu liegt’s auf dem Weg. Dann weiter über den Viktualienmarkt, beim gleichen Stand wie immer ein paar Äpfel gekauft für später, für nach’m Yoga, wo ich fertig und hungrig sein werde, aber keinen Bock hab, mir die ganze schöne Wirkung von der Yogastunde mit zu viel Essen zu versauen.
Dann zu Jivamukti Yoga in der Buttermelcherstraße, wo ich den Geruch schon kenne. Ein Geruch nach Yogamatten, nach Jade Yogamatten um genau zu sein. Ich hab meine Yogamatte, die ich daheim hab, bei denen im Online Shop bestellt und sie riecht haargenau so wie wenn man ins Yogacenter reinkommt. Ich liebe diesen Duft und jetzt hab ich ihn auch bei mir daheim. Vertraut. Dann zahle ich meine Stunde, ziehe meine Schuhe aus, leg sie in das ich nehme an Expedit Schuhregal, 2. Fach von links ganz unten, geh in die Umkleide, bin immer zu früh da, damit ich ein gutes Schließfach bekomme und weil es da noch so schön ruhig ist. Es muss das Schließfach Nummer 30 sein, das Schließfach meines Vertrauens. Dann häng ich entweder noch rum und trinke Tee und schau mir die vielen schönen Sachen an, die sie da verkaufen oder ich geh schonmal in den Yogaraum rein. Rieche an den Matten, dass sie nicht zu arg nach Fuß riechen, Decke das gleiche, zwei Blöcke, ein Gurt, und leg mich immer in die erste Reihe, direkt  vor den Lehrer. Weil ich ein Streber bin und weil ich mir erhoffe, etwas von seinem Glanz könnte auf mich abstrahlen und mich glücklich machen.
Dann mach ich die Augen zu, versuche zu meditieren und zu spüren, ob ich merke wann mein Lehrer reinkommt. Meist spür ich es. Schwer zu beschreiben. Wie ein Musterschüler sitzt ich dann so ruhig wie möglich in meinem Meditationssitz in der vagen Hoffnung, der Lehrer könnte bemerken, wie diszipliniert ich bin und mit was für ner Hingabe ich mich in die ganze Sache reinschmeiß. Allein schon, dass ich so denke, macht mich wahrscheinlich zu einem schlechten Schüler. Wenn mir solche Gedanken kommen, Gedanken, wo ich mich bei meinem Egoismus ertappe, dann versuche ich folgendes: Ich wünsche mir, dass alle anderen die im Raum sind, in der Stunde das bekommen, was sie brauchen. Nicht das was sie wollen, aber das was sie für ihre Seele brauchen. Prompt fühl ich mich besser. Und dann auch wieder schlechter, weil mir bewusst wird, dass ich es wieder aus einem egoistischen Grund gemacht hab. Damit ich mich besser fühle.
An der Stelle beginne ich langsam zu verzweifeln. Die Stunde beginnt und ich bin schon so gerädert von meinem inneren Monolog, dass ich wahrscheinlich aussehe als wäre ich 100 Jahre alt. Mein Lehrer übt an diesem Tag Basic mit uns. Wir sollen einfach nur gleichmäßig atmen, ohne Pausen, den Atem fließen lassen wie Öl und ein paar einfache Asanas. Nach ein paar Minuten bin ich schweißgebadet. Halloho, Basic!! Wieso bin ich bitte schweißgebadet? Wie schwer kann’s denn sein zu atmen? Sehr schwer. Und eigentlich weiß ich es auch. Aber mit welcher Wucht es mich heute wieder trifft, das geht scho auf kei Kuhhaut mehr. Mir wird schwindlig, mir wird schlecht. Ich kann doch jetzt net auf die Matte kotzen, während die anderen ganz easy Krieger II halten. So schwer ist der jetzt echt nicht.
Und dann sag ich mir „Scheiß auf die Performance“, was im übrigen mein Lehrer schon ziemlich am Anfang der Stunde gesagt hat – nur in einer anderen Wortwahl. Ich tu es und leg mich in Stellung des Kindes, Fersensitz, Stirn auf den Boden. Egal, dann mach ich mich halt zum Horst. Als Yogalehrerin in einer Anfängerstunde so dermaßen abzukacken. Danach geht’s mir besser.
Und jetzt, berechtigte Frage: Was bringen einem all diese Rituale, die einem Sicherheit vorspielen und einen über den Tag bringen, wenn man dann wie ich bei der leichtesten Unplanmäßigkeit den Boden unter den Füßen verliert?
Aber vielleicht war das auch der Grund, warum ich nach München gefahren bin, vielleicht wollte ich den Boden unter den Füßen verlieren. Ich wollte, dass es mich wieder ein kleines bisschen aus meinem üblichen „also meinen Kaffee trink ich am liebsten im Café xyz“ raus reißt. Mich wach macht. Dass meine ganzen vermeintlich sicheren Rituale mir nix bringen. Allein schon dass ich darüber nachdenke, in welch immer gleichem Trott mein Leben die vergangenen paar Wochen verlaufen ist. Und was für ein Zufall (Zufall?), dass ich auch noch das passende Buch dazu lese.
So, ich bin mal ganz mutig und trinke heute meinen Kaffee woanders.