Es gibt da diese griechische Legende von den Kugelmenschen. Einige von ihnen waren zum Teil Mann, zum Teil Frau – in einem Körper. Weil die Götter um ihre Macht fürchteten, trennten sie die Kugelmenschen mittendurch, so dass Mann und Frau fortan einzeln ihr Dasein fristeten. Immer auf der Suche nach ihrem verlorenen Part.
Wenn mal was rund war im Leben, neigt man dazu, es wieder zu suchen, in anderer Form, in einem anderen Paar Augen, in einem spezifischen Gefühl, das einen wieder ganz machen soll. Dass man dieses Rund-Gefühl nicht rund um die Uhr haben kann, ist klar. Irgendwann muss man ja auch die dreckigen Unterhosen vom Mann waschen und das Klo putzen. Aber darum geht es hier nicht. Eher darum, dass dir dein Herz zuflüstert: Das ist es, genau das brauchst du, um deine Seele wieder ganz werden zu lassen. Damit du nicht mehr allein bist.
Manche sagen, man braucht niemand anderen, um in sich ein rundes Gefühl zu erzeugen. Das kann man allein. Andere sagen, man muss erst für sich abgerundet sein, um dann mit jemand anderem eine gesunde Einheit bilden zu können. Und keine neurotische, von Abhängigkeit geprägte Bindung. Noch andere – wie zum Beispiel Hermann Hesse – haben sich ihr Leben lang unvollständig gefühlt, haben sich verzehrt danach, ihre Ergänzung zu finden, um mit ihr verschmelzen zu können. Bei Hesse hatte es ein Happy End. In seiner dritten Ehe, mit der Kunsthistorikerin Ninon Dolbin, schien er gefunden zu haben, was er Zeit seines Lebens gesucht hatte. Er hörte in jener Zeit auf zu schreiben und zu malen. Kann sein, dass diese Beziehung ihn geheilt hat, er keinen Seelenschmerz mehr durchs Malen und Schreiben loswerden musste.
Ein sehr schönes Bild liefert Hesse zu dem Wunsch, sich mit einer Frau wirklich zu vereinigen. In Piktors Verwandlungen sucht ein Junge – Piktor – nach seinem Glück und lässt sich in einen Baum verwandeln. Jahrelang ist er zufrieden, weil für ihn ein Baum das Inbild von Ruhe Kraft und Würde ist. „Er sog mit durstigen Fasern tief in der kühlen Erde, und wehte mit seinen Blättern hoch im Blauen.“ Eine Verbindung zwischen Erde und Himmel, wie man so schön bei den Yogis sagt.
Nur dann merkt der Baum allmählich, dass sich alles um ihn herum verwandelt, und er immer derselbe bleibt. Das lässt ihn müde und alt werden. Dann taucht allerdings ein junges Mädchen auf, der Baum verliebt sich in das Mädchen, er spürt ein so großes Verlangen nach Glück, wie er es noch nie gefühlt hat. Das Mädchen lehnt sich an den Baum, der Baum erschauert, und sie fühlt denselben Schauer im eigenen Herzen. „Was war doch dies? Warum musste man so leiden? Warum begehrte das Herz die Brust zu sprengen und hinüber schmelzen zu Ihm, in Ihn, den schönen Einsamen?“
„Der Baum zitterte leise bis in die Wurzeln, so heftig zog er alle Lebenskraft in sich zusammen, dem Mädchen entgegen, in dem glühenden Wunsch nach Vereinigung.“ Das Mädchen hat einen Wunsch frei und wird eins mit dem Baum, „trieb als starker junger Ast an seinem Stamm, wuchs rasch zu ihm empor. Nun war alles gut, nun war die Welt in Ordnung, nun erst war das Paradies gefunden… Er war verwandelt. Und weil er dieses Mal die richtige, die ewige Verwandlung erreicht hatte, weil er aus einem Halben ein Ganzes geworden war, konnte er sich von Stund an weiter verwandeln, so viel er wollte. Ständig floss der Zauberstrom des Werdens durch sein Blut, ewig hatte er Teil an der allstündlich entstehenden Schöpfung.“
Hach, schönes Idealbild. Nur wie umsetzen?
Finde die Süße in deinem Leben, würde mein Lehrer Petros vorschlagen. Finde eine Situation, ein Bild, eine Person, wo alles da ist, alles rund, alles eins. Dann spür mal, ob die Süße vom Objekt kommt oder von dir. Aus dir. Vielleicht kannst du spüren, dass die Süße auch ohne das Objekt da ist. Dass die Süße nicht bedingt ist. Dass nicht erst der Michael oder der Holger da sein muss, damit du dich vollständig fühlst.
Der Kopf denkt immer, wenn ich nur erst wieder die Situation / das Gefühl xy von damals wieder hätte, DANN wäre ich glücklicher. Nö, weil dann muss ich ja immer hinter irgendwas her rennen. Dabei ist die Süße immer da, sagt Petros.
Gabriela Bozic sagt’s auch sehr schön. Wenn mir jetzt was fehlt, dann kann ich’s halt grad selber noch nicht füllen. Ich kann aber im Lauf der Zeit in meine eigene Lücke hineinwachsen und sie langsam mit Leben füllen. Und wenn du schlimm verletzt worden bist, das sind wir alle, dann musste das sein. Damit du lernst, was Liebe nicht ist.
Telefoniere mit meiner Oma „Orakel Oma“ und frage sie, du wie war’n des bei dir? War der Opa dein fehlender Teil? Hat sich‘s rund angefühlt? Nö, sagt die Oma. Sie hat von meinem Opa geträumt, bevor sie ihm begegnet ist. Der liebe Gott hat da die Finger im Spiel gehabt, sagt sie. Er hat ihr gesagt, dass bald ein Mann auftauchen würde, der um ihre Hand anhält. Und dass er ihre Bestimmung ist und dass sie in einem Haus neben einer Straßenbahnhaltestelle wohnen würden später. Das mit der Straßenbahnschiene und dem Handanhalten kam dann tatsächlich. Und meine Oma ist überzeugt, das hatte alles so seine Richtigkeit. Ganz rund war’s trotzdem nicht.