Entspannung ist unsexy. Nicht.

Nach einem privaten Intermezzo neulich war es mal wieder so weit.
Der Boden unter meinen Füßen – weg. Herz wund, Gedanken out of control, nachts schweißgebadet aufgewacht, weil‘s so ins Herz reingestochen hat und meine Gedanken sich einfach nicht beruhigen wollten. Alles drauf gehämmert, was Yoga und Meditation so hergibt. Nutzlos. Was mir so ziemlich als Letztes einfiel, und was mich dann endlich wieder schlafen ließ, war – die gute alte unsexy Entspannung.

Mit Entspannung konntest du mich eine Zeitlang jagen. Das war wie Stricksocken-zu-Beckenschaukeln-Yoga. Absolut nicht salonfähig. Vor allem in meiner Bam-Bam-Asana Phase, wo es gar nicht schweißtreibend genug, gar nicht körperlich genug, gar nicht deep deep shit genug sein konnte. Ja, okay, nach einer mörderischen Asana-Sause 10 min Savasana war schon geil. Aber einfach weil ich so dermaßen im Arsch war, dass ich während des Übens schon ums nackte Überleben gekämpft hatte.

Aber Entspannung als Praxis an sich – geh mir weg!

So, und dann war ich vergangenes Jahr in Bali auf Ausbildung bei meinem Lehrer Ganesh, krass erschöpft bin ich da angekommen, auf dem Zahnfleisch quasi. Neben heftiger Erschöpfung hatte ich noch ein paar harte private Brocken zu verdauen. So doofes Zeug mit Loslassen. Der Klassiker halt.

Was Ganesh dann gemacht hat: Uns erstmal locker 20 bis 30 Minuten liegen lassen, in Savasana. Und mit seiner beruhigenden Stimme hat er gesagt, wie wir den Atem beobachten sollen, wo wir den Atem im Körper beobachten sollen und so weiter und so fort.

Und Gott, ich wusste gar nicht, wie erschöpft ich gewesen war. Wie unglaublich erschöpft wir doch meistens sind und merken’s nicht einmal, weil wir ständig weiterwuseln.
Das hat er locker zwei Mal am Tag mit uns gemacht, manchmal öfter.
Und ich hab locker mindestens zehn Tage gebraucht, um runterzukommen.

Und wer von uns macht schon zehn Tage am Stück mehrmals am Tag 30 Minuten lang Entspannung? – Also ich nicht.

Aber in Bali hab‘ ich mich ernsthaft in diese Entspannungen verliebt, und seitdem übe ich sie auch daheim bei Bedarf. Nur manchmal fallen sie mir nicht ein – obwohl sie mich so überzeugt haben.
Okay, das ist noch ein wichtiger Punkt, bevor wir gleich loslegen.
Damit dir eine Übung – ein Instrument aus Yoga & Meditation – in der Stunde der Not einfällt, muss es

  • Dich echt überzeugt und geflasht haben
  • Du musst es schon öfter gemacht haben. Damit du eigene gute Erfahrungen damit hast. Denn nur DEINE vertieften Erfahrungen damit bewirken,
  • dass dir die Übung in der Situation, wo die Kacke am Dampfen ist, dann auch tatsächlich einfällt. Wenn du die Übung nur mal in einem Workshop gehört oder in einem Buch gelesen hast, dann ist sie nach kurzer Zeit wahrscheinlich – puff – weg.

So, nun gut, also was ich vorschlagen kann zum Üben:

1. Fang an mit Entspannung

Bevor du in deinem üblichen Yoga/Meditations-Aktionismus rumdokterst.
Oder – Gott bewahre – einfach irgendwas übst, ohne zu wissen was du da tust.
Oder nur weil‘s der Lehrer/die Lehrerin gesagt hat.
Oder automatisch deine Sequenzen durchturnst, ohne darauf zu achten, ob das an dem Tag überhaupt passt für deinen Körper und oder für deinen mentalen Zustand an dem Tag.

Kennst du das? Dass wenn du traurig bist, leidest, gestresst bist, fertig bist, und du schon länger Yoga und Meditation übst – dann peng peng peng drängen sich gleich die Übungen auf?
Ah, ich bin traurig, dann probier‘ ich’s mal mit diesem Mantra. Oh, ich bin gestresst, dann mach ich jetzt mal jene Meditation. Uh, ich hab Rückenschmerzen, dann übe ich jetzt mal diese und jene Sequenz.

STOP! – Erst mal auf Anfang.

Leg dich hin und lass deinen Mindfuck erstmal zur Ruhe kommen. Warte mindestens zehn Minuten. Werde achtsamer.
So verschaffst du dir einen Überblick darüber: Was ist denn überhaupt bei mir los? Und zwar, was GENAU ist los? Du kannst nicht klar und präzise arbeiten, während deine Gedanken noch hämmern wie Presslufthammer. Spüre, kurz nachdem du dich hingelegt hast:

Wie geht es mir überhaupt?

  • Wie fühlt sich mein Körper an? Gibt’s irgendwelche Signale an bestimmten Stellen?
  • Wie ruhig oder wie unruhig kommt mein Atem?
  • Wie ruhig oder wie aufgewühlt sind meine Gedanken und Gefühle?

So verschaffst du dir erst mal einen groben Überblick über den Ernst der Lage.

2. Das Liegen

Leg dich flach auf den Rücken, Beine können auch angewinkelt sein.

Deine Füße können auch hüftbreit sein, deine Knie können auch zusammen fallen.

Was für dich angenehm ist. Vielleicht sogar auf der Seite liegen.

Dann reib deine Hände, bis sie warm sind.
Leg eine Hand auf den Bauch (unterer oder oberer Bauch, wie du magst) und eine Hand auf die Brust (Brustbein oder Mitte der Brust).

Und dann…? Nix und dann.

Nichts weiter. Nur atmen.
Lass den Atem in Ruhe.
Misch dich nicht ein.
Wenn er schnell und flach kommt, kommt er schnell und flach.
Wenn er lang und tief kommt, kommt er lang und tief.
Wenn er rasselt, rasselt er.
Wenn er dünn ist, ist er dünn.
Wenn er kräftig wie ein gesunder Wasserstrahl kommt, kommt er kräftig wie ein gesunder Wasserstrahl.

Lass ihn einfach mal sein, wie er ist. Deinen Atem.

Du kannst die Augen offen haben oder zu. Was an dem Tag angebracht ist.
Bei akuten gedanklichen gefühlsmäßigen Turbulenzen würd ich empfehlen: Lass an solchen Tagen die Augen auf. Sonst tauchst du zu tief rein ins Drama.
Wenn alles easy ist, lass sie zu.
Und dann spür, wie deine Hände auf Bauch und Brust liegen.
Und dann spür, was sich unter deinen Händen tut.
Spür die Bewegungen unter deinen Händen.
Die Bewegungen, die dein Atem hervorruft.
Lass den Atem, wie er ist.
Beobachte, wie sich dein Körper unter deinen Händen bewegt.
Mit jeder Einatmung, mit jeder Ausatmung.
Deine Gedanken / Gefühle werden wandern.
Ärger dich nicht.
Komm zurück.
Beobachte weiter deinen Atem.
Verändere ihn nicht.
Lass ihn endlich mal so sein, wie er ist.
Mach das mindestens zehn Minuten, eher länger.
Wenn du nen stressigen Tag hattest, leg dich abends ins Bett und üb das vor dem Einschlafen, um runter zu kommen.

3. Nimm wahr, wie es dir nach der Übung geht

Nicht einfach husch husch weiter. Sondern nimm direkt nach der Übung wahr:

  • Wie fühlt sich mein Körper an? Gibt’s irgendwelche Signale an bestimmten Stellen?
  • Wie ruhig oder wie unruhig kommt mein Atem JETZT?
  • Wie ruhig oder wie aufgewühlt sind meine Gedanken und Gefühle JETZT?
  • Gab’s Themen, die sich beim Liegen aufgedrängt haben?

Okay, jetzt hast du Feedback. Feedback, mit dem du weiter arbeiten kannst.

Darüber, ob die Übung was gebracht hat: Bist du ruhiger geworden?
Vielleicht mehr Klarheit, welche Themen bei dir grad vehement brennen.

4. Jetzt, wo du mehr Klarheit zu deinem Thema hast

Kannst du immer noch in deinen Yoga-Werkzeugkoffer schauen: was ist bei Thema xy zu üben?
Das beinhaltet, du brauchst erst mal einen Yoga Werkzeugkoffer.
Den kannst du dir zusammenstellen:
*sammle Übungen, Techniken meinetwegen bei verschiedenen Lehrern, Workshops, in Yogastunden, in angeleiteten Meditationen, im Internet
*aber dann wichtig: überprüfe selbst und immer wieder über längere Zeit: Macht diese Übung Sinn für mich?

Und egal, was dir manche vielleicht sagen: Du solltest dich NICHT NOCH aufgewühlter nach der Übung fühlen, als du dich vorher gefühlt hast. Man entkommt Leid nicht, indem man Leid triggert.

Wichtige Sache.
Also sei skeptisch, wenn jemand sagt: Ja, das musst du jetzt durchhalten, auf der anderen Seite des Schmerzes (egal ob körperlich oder mental) wird’s leichter.
Nope.
Die Übung sollte sich SCHON WÄHREND dem Üben gut anfühlen.
Leicht, klar, hell, ruhig. Sattvisch.
E basta.
*und wenn du deine Werkzeuge gesammelt und selbst überprüft hast (an dir, haha) über längere Zeit, dann fallen sie dir hoffentlich ein in deiner schwierigsten Situation. Da wo du echt Hilfe brauchst.
Je öfter du deine Werkzeuge geübt hast, desto größer die Chance, dass sie dir dann auch tatsächlich einfallen, wenn es um die Wurst geht.
Du musst sie intus haben, im Schlaf müssen sie dir kommen, in Fleisch und Blut müssen sie dir übergegangen sein.

5. Entspannung „um zu“ oder einfach nur so

Und vielleicht schaffts Entspannung auch in deine Werkzeugkiste. Ich würde mich im Stillen freuen. Und du kannst entspannen, einfach nur um zu entspannen.
Und du kannst auch entspannen,
um wieder mehr im Flow zu sein, intuitiver zu werden, Stress zu reduzieren, wieder klarer wahrzunehmen, was in dir und deinem Leben abgeht… und und und.

Viel Spaß und lasst mal hören, wie’s euch ergangen ist.

Eure Adri