KNACKARSCH UND ERLEUCHTUNG IN NEW YORK
oder wie ich zum Jivamukti Yoga kam
Schöner gesunder Körper allein reicht nicht. Auch Seelenhygiene muss her. Für die Suche nach dem richtigen Yoga ist New York die richtige Stadt. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es geballt so viele Yoga-Stile. Hier entdecke ich Jivamukti Yoga – das angeblich einen guten Hintern und auch noch einen ruhigen Geist machen soll.
Sexy, ist mein erster Gedanke, als ich in der Caféteria der Jivamukti Yoga School in Manhattan sitze und einen Espresso mit Sojamilch-Schaum schlürfe. Sexy ist die Atmosphäre, weil die Menschen hier nicht nur schön und filigran geformt sind. Nein, sie scheinen, wie sie da an ihren MacBooks und iPads sitzen, auch noch ganz nebenbei von innen her zu leuchten. Apple gehört hier nebenbei bemerkt zum guten Ton. Viele Frauen sehen aus wie Tänzerinnen mit schmaler Silhouette und einem Hintern zum Niederknien. Mein Kumpel, der bis zum heutigen Tage null auf Yoga stand, starrt gerade zum zehnten Mal einem wohlgeformten Popo in Leggings hinterher. Er wird wohl seine Meinung über Yoga revidieren, äußert er gerade.
Ich bin hier, weil ich Yogalehrerin bin und wissen will, wie das alles begann mit unserem westlichen Yoga. Und da ist New York die richtige Adresse. Ich habe die Reise generalstabsmäßig geplant, alle interessant erscheinenden Yogastudios in New York mit Google Maps ausgedruckt. Besonders interessiert mich Jivamukti Yoga, weil dieser Stil laut New York Times sehr viel dazu beigetragen hat, Yoga im Westen so populär zu machen, wie er heute ist. Naja, und weil Christy Turlington mit über 40 und 2 Kindern noch so dermaßen geil aussieht. Sie übt weiß Gott wie lang schon Jivamukti Yoga.
Mittlerweile kommt keine Frauenzeitschrift mehr ohne wenigstens einen Beitrag über Yoga pro Ausgabe aus und Prominente jeglicher Couleur werden nicht müde zu betonen, wie sehr Yoga ihr Leben verändert hat.
New York Anfang der 80er Jahre. Eine Tänzerin und ein Zeichner begegnen sich im Künstlerviertel East Village. Sie haben beide Lust auf Yoga, probieren alles Mögliche aus und sind frustriert, weil sich alles nur auf den Körper bezieht und nichts über die spirituellen und philosophischen Aspekte der jahrtausendealten Yogatradtition unterrichtet wird. Also reisen Sharon Gannon und David Life nach Indien, lernen bei drei Gurus (Lehrern) – einer davon ist der im Westen in Yogakreisen sehr bekannte Patthabi Jois – und machen dann ihr eigenes Ding. Sie nennen es Jivamukti Yoga. Jiva die Seele und Mukti die Befreiung.
Das erste Jivamukti Studio eröffnen sie in einem künstlerischen Brennpunkt in Manhattan, wo bekannte Dichter wie Allen Ginsberg Lesungen veranstalten. Bald trudeln Broadwaytänzer, Dichter und Musiker ein. Nonkonformisten mit Tattoos, Piercings und blauen und grünen Haaren. Die Sache beginnt hip zu werden – ähnlich wie Ende der 60er, als die Beatles zum Meditieren nach Indien gingen. Bald stehen Promis wie Madonna, Sting und Christy Turlington auf der Matte.
Mitte der 90er ist in Manhattan die Yogaszene schon am Blühen, während in Deutschland nur einige wenige in Stricksocken zum Kurs an der Volkshochschule gehen. Madonnas Lehrer David Life und seine Partnerin Sharon – die Gründer von Jivamukti Yoga – wollen die altertümlich anmutenden indischen Weisheiten aus dem Yoga in eine Form umzusetzen, die für den heutigen Großstädter und Westler leicht verdaulich ist. Ein fettarmer Yoga to go, quasi.
Jivamukti etabliert sich zu einem der neun anerkannten Stile des klassischen Hatha Yoga. Die physisch sehr herausfordernden Asanas (Körperübungen) sind verbunden mit tiefer Atmung, gesungenen Mantren in der altindischen Sprache Sanskrit und Meditation. Ethisch geht es um Vegetarismus, Umweltbewusstsein und Selbstbestimmung des Einzelnen. So die Theorie. Und jetzt kommt das Beste: Jivamutki-Schüler sollen mit fortgeschrittener Praxis immer ausgeglichener werden und dann in der Lage, dauerhaft glücklich und wirklich zufrieden zu sein – und das unabhängig von äußeren Umständen. Also äußerlich und innerlich schön, egal was kommt. Das will ich haben!
Die offene Stunde für Fortgeschrittene findet im 60 Quadratmeter großen Raum mit dem klingenden Namen „Goddess“ statt. Nahezu deckenhohe Fenster Richtung Union Square, einem belebten Platz, wo Kunsthandwerker ihre Waren, Bauern ihr Obst und Gemüse und ein paar junge Leute Umarmungen für lau anbieten. Im Yogaraum sind dunkler Holzfußboden, Deckenventilatoren und vor den Fenstern eine ein Meter hohe Statue des meditierenden Hindugottes Shiva. Gleich daneben, wenn auch wesentlich kleiner, eine Skulptur der Mutter Gottes. Damit das Christentum nicht zu kurz kommt. Um den Altar herum eine Ahnengalerie von Vertretern aller Religionen – man scheint hier offen für alles.
Und dann geht die Stunde los. Erst singen wir Mantren aus der Bhagavad Gita, einer der wichtigsten Schriften im Yoga. Ein paar Runden extremen Sonnengrußes später, Stellungen sehr lange halten und tief in Ujjayi atmen (das hört sich an wie Darth Vader), nicht mal die Knie darf man beim Sprinter ablegen, keine Verschnaufpause in Sicht, ist mein T-Shirt schon klatschnass. Ich bin so fertig, ich könnt mich eigentlich auf die Matte ablegen und schlafen. Aber das war erst das Aufwärmen.
Dann geht’ s richtig los: Asanas wie der Seitstütz folgen. Ich bin in Seitenlage, die Beine bleiben feste zusammengedrückt am Boden und ich stütze mich mit einer (!) Hand vom Boden ab, bis mein Arm durchgestreckt ist. Kaum ist er durchgestreckt, fängt er schon das Zittern an. Und IIIIIINHAAAAAALE und EXHAAAAAAALE. Mein Arm wackelt jetzt, als hätte er einen epileptischen Anfall. Das Mädchen vor mir steht so gelassen in der Haltung, dass sie nebenbei noch einen Cocktail trinken könnte.
So geht das die ganze Zeit weiter, anspruchsvolle, lang gehaltene Ananas, die in fließenden Übergängen geübt werden – alles untermalt von Massive Attack und saftigen indischen Beats. Durchchoreographiert. Hier wird klar, dass dieser Yoga die Handschrift einer Tänzerin trägt.
Nach zirka 80 Minuten bin ich so im Arsch wie selten in meinem Leben, bin bis auf die Unterhose durchgeschwitzt und der Lehrerin mehr als dankbar, dass wir uns jetzt auf die Matte legen dürfen zur Schlussentspannung. Ich lege mich hin, decke mich zu und kaum liege ich da, die Augen geschlossen, kommt es mir vor, als wäre mein Körper ganz leicht. Alles pulsiert und ist so voller Leben, mein Geist tanzt zur Musik. Ich bin einfach nur glücklich. Und dann kommt auch noch die Lehrerin und massiert meinen Nacken mit einem minzigen Öl, oh ja, das tut gut, das könnt ich den ganzen Tag haben.
Als die Stunde vorbei ist, schaue ich in den Spiegel und erkenne mich kaum. Ich bin wunderschön. Ohne oberflächlich zu sein. Meine Augen, meine Haut strahlen. Dieses Glücksgefühl hält den ganzen Tag an. Ich fühle mich das erste Mal seit langer Zeit wieder wie…. ich selbst.
Anmerkung: meine erste Jivamukti Stunde hatte ich bei Tamar Samir.
Homepage von Jivamukti Yoga in New York: www.jivamuktiyoga.com